Rote Liste
Um Arten- und Biotopschutzprogramme inhaltlich und juristisch handhabbar zu machen, werden Roten Listen für gefährdete und daher schutzwürdige Arten erstellt. Anhand dieser Listen können dann die Wertigkeit von Naturflächen besser evaluiert werden. Nachdem in Deutschland der Schutz des Bodens als Lebensraumes für Menschen, Tiere und Pflanzen durch das Bundesbodenschutzgesetz (1998) ausdrücklich gesichert ist und die Erhaltung der Vielfalt und Funktion der Boden-Lebensgemeinschaften gefordert wird, bestand umso mehr Grund und Notwendigkeit, die hierfür notwendige Datenbasis zu erarbeiten und zu bewerten.
Die Roten Listen der Diplopoden und Chilopoden für die Länder Baden-Württemberg (Spelda 1998), Bayern (Spelda 2004) und Sachsen-Anhalt (Voigtländer 2004a/b, Voigtländer et al. 2020, Lindner et al. 2020) haben in gewisser Hinsicht eine „Vorreiterrolle“ übernommen, da hier frühzeitig erkannt wurde, dass auch Bodenorganismen durch Experten naturschutzfachlich zu bearbeiten und in Monitoringprogramme einzubeziehen sind.
Die ersten Roten Listen Deutschlands der Hundert- und Doppelfüßer wurden erstmals mit dem Stand von 2014 herausgegeben (Decker et al. 2016, Reip. et al. 2016). Damit entstanden erstmals Rote Listen der Diplopoda und Chilopoda, die für überregionale und internationale Forschungen Aussagen ermöglichen und Orientierungspunkte bieten.
Ermöglicht wurde dies auf der Basis der bodenzoologischen Datenbank Edaphobase, in der seit 2010 kontinuierlich Datenbestände an deutschen Myriapoden aus Sammlungen (museal, privat), Literatur und unveröffentlichten Daten erschlossen und aktualisiert wurden. Mit gezielten Exkursionen und Nachsuchen konnten Verbreitungslücken und neue Arten nachgewiesen werden. Mit einem Datenbestand von ca. 95.000 Funden von fast 11.000 Fundstellen in Deutschland sind Bewertungen zur Gefährdung möglich.
Die AG deutschsprachiger Myriapoden arbeitet seit 2021 an einer aktualisierten Version Fassung der bundesweiten Roten Liste, da sich seit 2014 der Kenntnisstand zur Verbreitung, Ökologie und Taxonomie seltener bzw. gefährdeter Arten verbessert hat. Angestrebt ist die Publikation bis 2025. Eine inhaltliche, finanzielle und vernetzende Unterstüzung erhält das Projekt durch das Rote Liste Zentrum.
DNA-Barcoding
In unserer gegenwärtigen Epoche, dem Anthropozän, erfolgt gerade ein Artensterben in einem Ausmaß, welches mit den großen Massensterben der Erdgeschichte verglichen werden kann und als „Das sechste Sterben“ tituliert wird.
Doch nicht nur die Arten sterben, auch die Artenkenner werden immer weniger. Und so verschwinden Lebensformen von unserem Planeten noch bevor sie bekannt geworden sind. Wie lässt sich dieses Hindernis (taxonomic impediment) beheben?
Ein kleiner Gen-Abschnitt aus den Mitochondrien, nur 657 Basenpaare lang, soll gleich dem Barcode auf Waren im Supermarkt eine eindeutige Bestimmung aller Lebensformen ermöglichen. Der Gedanke ist verführerisch: Ein einheitliches molekulares Kochrezept soll das visuelle Erkennen der zahllosen Lebensformen ersetzen, ja verlässlicher als dieses sein.
Doch ein solches Verfahren ist nur so gut, wie die Daten, auf die es sich begründet, das heißt die Tiere der sogenannten Barcoding-Bibliothek müssen korrekt bestimmt sein. Daher ist die Grundbedingung für ihre Anwendbarkeit eine enge Zusammenarbeit zwischen den Barcodingzentren und den Spezialisten der einzelnen Tiergruppen.
Als in den frühen 2000er-Jahren (2008) die Aktivitäten zum DNA-Barcoding begannen, war unsere Arbeitsgruppe von Anfang an dabei. Daher sind die in Deutschland vorkommenden Hundert- und Tausendfüßerarten bezüglich ihrer Barcodingsequenzen in einem Umfang abgedeckt, wie das sonst nur bei sehr gut bekannten Tiergruppen wie Wirbeltieren oder Schmetterlingen der Fall ist.
Was kann das DNA-Barcoding nun leisten und was nicht?
Während ein Anfänger in früheren Zeiten darauf angewiesen war, dass ihm ein Spezialist seine Tiere nachbestimmt hat, kann er jetzt ein Stück Gewebe (z.B. ein Bein) einschicken und auf diese Weise eine korrekte Bestimmung erhalten. Vorausgesetzt die molekulargenetische Untersuchung (Sequenzierung) war erfolgreich. Und das ist manchmal leider nicht der Fall, wie wir auch in der hinter uns liegenden Zeit der Pandemie (2022) feststellen durften. Erhalten wir eine passende Sequenz, so ist diese verlässlich. Ähnliche Arten werden sogar sicherer erkannt als von Spezialisten. Doch bisweilen versagt das Verfahren aus noch immer unklaren Gründen oder liefert Sequenzen von anderen Lebensformen, welche die Probe kontaminiert haben, z.B. Bakterien oder auch der/die Bearbeiter/in im Molekularlabor, dessen Kopfschuppen in die Probe gelangten (wir plaudern hier aus dem Nähkästchen).
Ersetzt das DNA-Barcoding einen überprüfenden Spezialisten?
Bis zu einem gewissen Punkt ja. Und werden von Spezialisten überprüfte Tiere in die Barcoding-Bibliothek aufgenommen, so bleibt deren Wissen über deren Tod hinaus verfügbar.
Was kann das DNA-Barcoding noch liefern?
Es liefert uns Hinweise, ob wir es mit einer oder mehreren Arten zu tun haben, selbst wenn wir diese optisch (noch) nicht unterscheiden können. Dafür ist es aber notwendig eine sehr hohe Zahl von Sequenzen in der Barcodingbibliothek verfügbar zu haben. Ohne Kenntnis der Variabilität bzw. der Barcoding-Lücken (barcoding gaps) ist es nicht möglich Artgrenzen zu ziehen. Ein Unterschied von 2-5%, wie früher verschiedentlich angenommen, garantiert keinesfalls artliche Trennung und ein geringerer Wert keinesfalls Artidentität.
Leider besteht derzeit der Trend anwendungsorientierte Forschung auf der Grundlage unvollständiger Barcodingbibliotheken zu betreiben, z. B. Artenspektren anderer Länder anhand Barcodes zu bewerten, die (fast) ausschließlich auf deutschem Material fußen.
Umso wichtiger ist eine beständige Verbesserung der Barcoding-Bibliotheken.
Die aktuellen offenen Baustellen sind:
1. eine Barcodingbibliothek für die beiden kleinen Klassen der Myriapoden, die Pauropoden und Symphylen.
2. Die Abklärung von Artgrenzen, insbesondere bei den Hundertfüßern, bei denen eine außergewöhnlich hohe genetische Variabilität zu verzeichnen ist. Demgegenüber sind die Verhältnisse bei den Doppelfüßern weitgehend geklärt. Probleme bereiten hier nur sehr junger Artaufspaltungen, die sich nicht mit Barcodingmethoden nachzeichnen lassen und die geographische Variabilität weit verbeiteter Arten über verschiedene Länder hinweg, da die geringe Ausbreitungstendenz der Doppelfüßer zu hohen genetischen Unterschieden zwischen weiter entfernten Populationen führt.